......................................................................Unsortiert, Verquert, Spontan, Geklaut, Verdaut und Ausgekotzt

Märchen

Ich habe die folgende Geschichte als kleines Mädchen geliebt. Immer wieder mussten meine Erwachsenen sie mir vorlesen... bis ich sie dann irgendwann selbst lesen konnte. Das Märchenbuch, "mein Schatz", habe ich heute noch und je älter ich werde, um so lieber schmökere ich wieder darin. Es ist mir wohlig heimatlich dabei.


Der alte Großvater und sein Enkel
Es war einmal ein steinalter Mann, dem waren die Augen trüb geworden, die Ohren taub, und die Knie zitterten ihm. Wenn er nun bei Tische saß und den Löffel kaum halten konnte, schüttete er Suppe auf das Tischtuch, und es floß ihm auch etwas wieder aus dem Mund. Sein Sohn und dessen Frau ekelten sich davor, und deswegen mußte sich der alte Großvater endlich hinter den Ofen in die Ecke setzen, und sie gaben ihm sein Essen in ein irdenes Schüsselchen und noch dazu nicht einmal satt; da sah er betrübt nach dem Tisch und die Augen wurden ihm naß.
Einmal auch konnten seine zittrigen Hände das Schüsselchen nicht festhalten, es fiel zur Erde und zerbrach. Die junge Frau schalt, er sagte nichts und seufzte nur. Da kaufte sie ihm ein hölzernes Schüsselchen für ein paar Heller, daraus mußte er nun essen.
Wie sie da so sitzen, so trägt der kleine Enkel von vier Jahren auf der Erde kleine Brettlein zusammen.
»Was machst du da?« fragte der Vater.
»Ich mache ein Tröglein«, antwortete das Kind, »daraus sollen Vater und Mutter essen, wenn ich groß bin.«
Da sahen sich Mann und Frau eine Weile an, fingen endlich an zu weinen, holten alsofort den alten Großvater an den Tisch und ließen ihn von nun an immer mitessen, sagten auch nichts, wenn er ein wenig verschüttete.
(Gebrüder Grimm)

Zahlentanz

Ich möchte mein Leben nicht noch einmal wiederholen. Da gibt es nicht viel, was ich heute anders machen würde. Eigentlich gab es in der Rückschau in den letzten Tagen nur eines: Ich würde heute lieber Jura denn Pädagogik und all die anderen Fächer studieren. An diesem Entscheidungspunkt damals hätte ich mir Menschen an meiner Seite gewünscht, denen ich sowohl hätte vertrauen als auch hätte zuhören können. Menschen, die mich ermutigt und, ja auch, darin unterstützt hätten, meinem eigentlichen Wunschstudium  trotz materieller Ängste nachzugehen. Nun, dem war nicht so und die rückbezügliche Nachdenklichkeit darob hält sich in Grenzen.
Trotzdem ist eine Traurigkeit ab und an vorhanden. Sie speist sich aus dem immer öfters ins Bewusstsein vordrängelndem Wissen um die Endlichkeit meiner Lebenszeit, das sich nun auch noch mit den von mir immer mit leichter Abneigung beäugten Zahlen verbündet. Nochmal sechzig, siebzig Jahre werden es nicht sein, sogar die fünfundfünfzig ist eher unwahrscheinlich. Vierzig, ja, die wären machbar. Vielleicht. Eher wohl eine Drei plus irgendwas. Diese Zahlen hüpfen immer öfters durch mein Gemüt, umflattern und pieksen mich auf eine mir bisher unbekannte Art und Weise. Zahlenteufelchen. Ich brauche einen Bannspruch dagegen.  
Ein Teil von mir weiß ja die Zutaten dazu: Im Hier und Jetzt sich aufzuhalten und dem Zukünftigen und Vergangenen weniger Bedeutung zuzumessen. Aber, dies sagt sich so leicht dahin, wenn der Körper immer mal wieder mit Befindlichkeitsstörungen der neuen Art auf seinen langsamen Verfall aufmerksam macht und um Gehör bittet. Schwupps bin ich drin in der Zahlenfalle.
Ich könnte ihnen auch Röckchen und Kleider anziehen, den Zahlen. Komische Masken aufsetzen und sie eine Dachbodenpolka vorführen lassen. Ja, sie sollen mich erheitern und nicht ärgern. Sie sollen tanzen und kichern und sich bunt chaotisch mischen und gemeinsam mit mir lachen.

Immer dabei

Egal wo ich hingehe
Ich nehme mich
Immer mit.

Meine Gesellschaft
Macht mir Freude
Sie ist mir
Genuss und Bereicherung

Immer noch

Alter und Altern

Auch wenn man Statistiken misstraut und den jeweiligen, oft durch tagespolitische Interessen geprägten,  Interpretationen derselben eher kritisch gegenüber steht, so bleibt es eine Tatsache: Unsere bisherigen Vorstellungen von Altern und Alter sind überlebt und zukunftsweisende, nachhaltige Antworten auf die sich daraus ergebenden Fragen sind Mangelware. Viele Junge können und viele Alten wollen nicht über einen Lebensabschnitt sprechen, der zwar demographisch aufbereitet, wissenschaftlich eingekreist, aber immer noch gesellschaftlich und individuell tabuisiert wird und oft mit versteckter oder offener Aggression und Abwehr belegt ist.
Alt ist jedoch kein Schimpfwort und keine ansteckende Krankheit. Alt wird jeder, der nicht jung stirbt. Umso seltsamer erscheint dann doch die in der gesamten Gesellschaft latent vorhandene Altersfeindlichkeit, die sich beispielhaft in Sprache ausdrückt.
Da ist unter anderem die Rede von „überalterter Gesellschaft“, von der „tickenden demografischen Zeitbombe“, von „Altenlast“ und „Restlebenserwartung“ und man zittert allerorts vor der bald herab sausenden „Seniorenlawine“.
In der Mehrheit solcher Begriffe und Aussagen spiegelt sich eine negative Einstellung zum Altern und zu älteren Menschen wider, die vom Defizitmodell des Alterns, von der Angst vor gesellschaftlichen Veränderungen und von der Verweigerung der Akzeptanz der Endlichkeit des eigenen Lebens gespeist und geprägt wird.
In Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche und weltweiter Umstrukturierungen sind all diese Ängste und Abwehrhaltungen verständlich. Sie sind jedoch sowohl für die Gesellschaft als auch für den Einzelnen kontraproduktiv, da sie den Blick auf das Wesentliche verhindern: Die zunehmende Lebenserwartung ist eine Chance für den einzelnen Menschen und für die Gesellschaft, da sie eine Vielzahl an bisher nicht genutzten Ressourcen sowohl in Bezug auf Erfahrungen, Wachsen, Veränderungen als auch an Wissen, Kompetenz und Kreativität freisetzt. Diese Potentiale zu fördern und zu nutzen setzt ein Umdenken und einen (ab jetzt für Zukünftiges schon in jungen Jahren angelegten) Perspektivwechsel in den Köpfen aller voraus.
Wir, sowohl die Jungen, als auch die Alten, müssen wieder lernen, das Altern und Alter etwas ist, das dem Leben selbstverständlich zugehörig ist. Nicht aus Mitleid für die jetzigen Alten, nicht aus falsch verstandenen humanitären, aufgesetzten Gründen, nicht um einem verquerten „Gutmenschsein“ zu frönen, sondern aus ganz egoistischen, überlebensnotwendigen Überlegungen: Nur im Dialog der Generationen, nur im Miteinander, nur im gemeinsamen Lernen, Lehren, Austauschen und Tun werden wir die Lösungen finden, die uns und diese Welt vielleicht gesunden lassen.

Organspendeausweis

Ich habe mir den Organspendeausweis zuschicken lassen und sitze zum Ausfüllen davor. Und da passiert doch etwas Komisches: Unruhe, Ängstlichkeiten, Unsicherheit - ein konkretes Denken über meinen Körper, wenn ich ihn nicht mehr bewohnen werde, erscheint auf einmal seltsam schwierig. So als würde ich durch zähen Schlamm wandern und alle Bilder seien verschwommen und grauingrau. Es fühlt sich an, wie eine Furcht, die von ganz, ganz tief unten kommt und älter ist als 54 Jahre. Sehr spannend, sehr aufwühlend und völlig überraschend. Wie schön, ich finde immer noch überraschend Neues in mir :-)

55

Mit fast 55 Jahren stelle ich überrascht fest, dass die Energien für grundlegende Neuanfänge tiefer in mir vergraben scheinen als in früheren Jahren und der Zugang zu ihnen beschwerlicher. Zum ersten Mal in meinem Leben huschen mir Gedanken wie „Das schaffe ich nicht noch einmal“ oder „Du solltest dies und das nicht aufgeben, denk doch an die kommenden Jahre, wenn du nicht mehr so gut laufen, sehen, hören, körperlich mithalten kannst“ durch Kopf und Gemüt.

Kompromisse winken verführerischer als noch vor einiger Zeit und es kostet mehr Kraft aufgrund des jetzigen Befindens und nicht aufgrund ängstlich vermuteter kommender Ereignisse meine Entscheidungen zu treffen. Ich empfinde dies vage beunruhigend und mir fremd. Trotzdem ist es plötzlich da und ich muss mich immer öfters über den Verstand dazu bringen im Jetzt zu bleiben und nur das Jetzt zur Grundlage meiner Entscheidungen zu machen. Es breitet sich so eine seltsame, bisher unbekannte und noch unkontrollierbare Ängstlichkeit in mir aus.

Dies betrifft auch und gerade Beziehungen -> Sollte man in „meinem Alter“ nicht zufrieden sein mit den gewachsenen Partnerschaften und eingeschliffene Verletzungen gelassen als geringen Preis für verlässliche Sicherheit und grundlegende emotionale Versorgung hinnehmen? Phasen des Alleinseins nicht mehr riskieren, obwohl es hier und dort und da nicht passt und zwickt? Sich mit den bekannten und wohldosierten Sinnlichkeiten begnügen, weil besser als gar nix ist das allemal?

Och, das ist so schön bequem und auch gesellschaftlich korrekt. Das tut richtig weh in seiner Behäbigkeit, eingebettet in allgemein wohlwollender Akzeptanz.

Doch was ist mit dem Hunger und der Gier nach neuer, fremder Haut, Gerüchen, Klängen, Worten? Was ist mit der grummelnden Sehnsucht nach der Magie des Beginnens? Was ist mit all den Träumen und Sehnsüchten, die ja doch noch recht lebendig und fordernd durch mein Gemüt und meine Seele hopsen?

Nöh, ich will mich diesem sich schleichend einschleichenden „Zufrieden sein müssen“ noch nicht ergeben. Lasst uns in vierzig Jahren noch mal drüber reden. Punkt.

Mit 80

"Wenn ich mal 80 bin und meine Partnerin tatterig meinem Befehl
"Nimm deine Zahnprothese raus, du Schlampe!" artig nachkommt,
dann graut es mir nicht vor der Endlichkeit."