Ich gehöre zu der Generation, die sich mühsam aus dem rechten Sumpf der Frauen/Menschenverachtung heraus kämpfen musste und der man von links permanent predigte, Frauen und Kinderrechte seien ein Nebenwiderspruch mit dem sich später irgendwann zu beschäftigen sei. Fuck you all!
Alter Eros Tod
Würde
Welch liebevoller Text:
Erinnerungen
Ich erinnere mich an …
das Kratzen auf den Schiefertafeln
Pitralon und Fit
Muscheln, aus denen Bonbon gelutscht wurde
Sütterlin in der Schule
drei schwarz-weiße Fernsehprogramme
Wundertüten
frische Milch in der Kanne
„heile, heile Gänschen“
die erste Mondlandung
den Abschlussball der Tanzschule
VW-Busse mit geteilter Frontscheibe und Seitentüre mit Scharnieren
die Velo-Solex mit Reibrolle
Holzskier mit Spiralbindung und Lederriemen
an das eiskalte Wasser im Schwimmbad, wenn montags das Wasser
gewechselt wurde
Fadenspiele
Sonntagskleidchen
Mädchen mit Affenschaukeln
Rollschuhe mit vier Eisenrollen
den Bravo-Starschnitt
die Augsburger Puppenkiste: Der kleine dicke Ritter Oblong-Fitz-Oblong
den riesigen Waschkessel im Keller, der Montags beheizt wurde
die roten Hände meiner Mutter beim Waschen
Brötchen mit gequetschtem Neger(!)kuss
Sunkist in der Pyramidenpackung
die Eisenbahn meines ältesten Bruders
Klick-Klack-Kugeln
das Testbild im TV
Feuersalamander
ein Plumpsklo mit Toilettenpapier aus Zeitungsstücken
Gummitwist
Cassata-Eis
Rabattmarken, von deren Erlös die Backzutaten für Weihnachten gekauft wurden
Nappos
Buttercreme-Torte
Messingschirmchen mit Servietten
den Knicks
den Scheitel
Sammelbilder in Köllns Kernige Haferflocken
das Magische Auge im Grundig-Radio
Zehnfachwechsler für Single-Schallplatten
Bonanza kommt (samstags 17 Uhr)
Klickern
Raumschiff Orion
Pudelmützen
kurze Lederhosen
Kaugummiautomaten
"Dalli-Dalli"
Kniestrümpfe
Brausestäbchen
meinen ersten Patronenfüller von Brause
ZDF-Hitparade mit Diether Thomas Heck
Hanni und Nanni
Daktari
Fury
Wilma und King
Lassie
Rin Tin Tin
Haferflocken mit Milch und Rosinen zum Abendessen
die Kanne mit Öl neben dem Ofen
Am Fuss der Blauen Berge
Hoola-Hoop-Reifen
Hinkelkasten
den Knick im Sofakissen
samstägliches Baden in einer großen Zinkwanne
Sunkist in der Pyramidenpackung
zehn Lose auf der Kirmes für eine Mark
Kriegsversehrte in dreirädrigen Karren mit Handantrieb
das Sammelkästchen mit nickendem Afrika-Kind
Schrankenwärter
Spielkreisel
den Kohlenkeller
„die Tafel ist noch nicht aufgehoben“
das Sonntagsei
eine Brezel für sieben Pfennige
Wollstrumpfhosen
Atika-Zigaretten
freihändig Radfahren
VW Käfer
Bezaubernde Jeanny
Topflappen häkeln
Kirschen klauen
Freischwimmer
das HB-Männchen
Kulis (Kulenkampf) "Einer wird gewinnen"
Holzschlappen im Sommer
Badekappen mit Blümchen
Tatzen in der Schule
in der Ecke stehen im Klassenzimmer
Silberbesteck für die spätere Aussteuer zu jedem Geburtstag von der Patentante
mein Poesiealbum mit Glanzbildern
Tri-Top
Lebertran
Mini Pli
Marmor, Stein und Eisen
Kreidler Florett
Strohsterne basteln
La, le, lu, und der Mann im Mond schaut zu
unser Grammophon
Schellack-Schallplatten
Lumpensammler
„jetzt reden die Erwachsenen“
Kathreiner Kaffee
Schlüsselblumen am Bach
selbstgebaute Drachen
bleichen der Wäsche im Hof
mein Klappbett
„Licht aus!“
„Jedes Alter hat seine eigene Schönheit“
Herz umhastet mit stolperndem Schluckauf
die keuchend knarzenden Knochen.
Knie quietscht empört wackelnd die
krampfhaft bibbernden Muskeln an.
Blase verweigert jedwedes Gespräch
mit den eingeschnappten Nieren.
Füße schieben sich mit quellendem
Frohlocken in die aufgepumpten Waden.
Fußnägel krallen sich Halt suchend in
paarungswillig anbiederndes Fleisch.
Haare spielen verschämt grinsend
Haschmichdoch in Kämmen und Bürsten.
Brüste grüßen den kugeligen Bauch
im sanften Vorüberschaukeln.
Arschbacken flirten aufdringlich albern
mit den unwillig ziependen Kniekehlen.
Steife Hände tasten zitternd nach
den verschwommenen Augenblicken.
Haut faltet sich zielorientiert beharrlich
um innovativ braun gesprenkeltes Gelände.
Der Geist schlägt sich entsetzt
vor die gerunzelt weise Stirn.
Die Schönheit des Alterns
erschließt sich mir nur langsam.
Corona – kein Land in Sicht.
Und dann warst du fort
Meine Seele hat es eilig.
Ich habe meine Jahre gezählt und festgestellt, dass ich weniger Zeit habe, zu leben, als ich bisher gelebt habe.
Ich fühle mich wie dieses Kind, das eine Schachtel Bonbons
gewonnen hat: die ersten isst sie mit Vergnügen, aber als es merkt, dass nur
noch wenige übrig sind, begann es, sie wirklich zu genießen.
Ich habe keine Zeit für endlose Konferenzen, bei denen die Statuten,
Regeln, Verfahren und internen Vorschriften besprochen werden, in dem Wissen,
dass nichts erreicht wird.
Ich habe keine Zeit mehr, absurde Menschen zu ertragen, die
ungeachtet ihres Alters nicht gewachsen sind.
Ich habe keine Zeit mehr, mit Mittelmäßigkeiten zu kämpfen.
Ich will nicht in Besprechungen sein, in denen aufgeblasene
Egos aufmarschieren.
Ich vertrage keine Manipulierer und Opportunisten.
Mich stören die Neider, die versuchen, Fähigere in Verruf zu
bringen, um sich ihrer Positionen, Talente und Erfolge zu bemächtigen.
Meine Zeit ist zu kurz um Überschriften zu diskutieren. Ich
will das Wesentliche, denn meine Seele ist in Eile. Ohne viele Süßigkeiten in
der Packung.
Ich möchte mit Menschen leben, die sehr menschlich sind.
Menschen, die über ihre Fehler lachen können, die sich
nichts auf ihre Erfolge einbilden.
Die sich nicht vorzeitig berufen fühlen und die nicht vor
ihrer Verantwortung fliehen.
Die die menschliche Würde verteidigen und die nur an der
Seite der Wahrheit und Rechtschaffenheit gehen möchten.
Es ist das, was das Leben lebenswert macht.
Ich möchte mich mit Menschen umgeben, die es verstehen, die
Herzen anderer zu berühren.
Menschen, die durch die harten Schläge des Lebens lernten,
durch sanfte Berührungen der Seele zu wachsen.
Ja, ich habe es eilig, ich habe es eilig, mit der Intensität
zu leben, die nur die Reife geben kann.
Ich versuche, keine der Süßigkeiten, die mir noch bleiben,
zu verschwenden.
Ich bin mir sicher, dass sie köstlicher sein werden, als
die, die ich bereits gegessen habe.
Mein Ziel ist es, das Ende zufrieden zu erreichen, in
Frieden mit mir, meinen Lieben und meinem Gewissen.
Wir haben zwei Leben und das zweite beginnt, wenn du
erkennst, dass du nur eins hast.
Mario de Andrade (San Paolo 1893-1945)